Aprilia Dorsoduro 1200
… wer da hämmert!
Fahrbericht Aprilia Dorsoduro 1200
(Stand: 05/2011)
Text: Ralf Kistner
Fotos: Ralf Kistner, Tom Ruess
Ein paar Eckdaten: 131 PS, 115 NM, 1197 ccm Hubraum, Gitterrohrrahmen, 90°-V2 …
Da steckt Schmalz drin, das liest sich, wie wenn es um eine Ducati gehen sollte. Doch steht jetzt eine Aprilia vor mir – die neue Aprilia Dorsoduro 1200.
Ich erhalte die Testmaschine von Oliver Dürr von der Fa. Motorrad Dürr in Kleinerdlingen, wo neben vielen Apriliamodellen auch Maschinen von Moto Guzzi, Husaberg, MV Agusta etc. etc. besichtigt und z.T. Probe gefahren werden können. Zudem hat Oliver in seiner Halle eine Menge Gebrauchtmaschinen mit einigen echten Schätzchen stehen.
Zurück zur Dorsoduro. Nu noch kurz die restlichen Eckdaten:
ABS, Traktionskontrolle, 15-Liter-Tank, 223 kg fahrfertig, Sitzhöhe 87 cm
Das relativiert einiges, lässt aber bei dem Aussehen dieser Über-Supermoto vermuten, dass haufenweise Spaß dabei sein wird. Also Maschine anlassen – und schon überzieht ein erstes Grinsen mein Gesicht. Der V2 bullert mehr als sonor aus den beiden Underseat-Einzeltöpfen im Standgas. Ein paar Gasstöße im Stand werfen die Frage auf, wie Aprilia für diesen mächtig hämmernden Sound eine ABE für die Dorsoduro 1200 erhielt.
Oliver gibt mir noch den Weg mit, ich solle gerade untenrum mit dem Gas vorsichtig sein. Die Maschine würde kräftig vorwärtspreschen. Und er rät mir, den Tourenmodus – einen der 3 Fahrmodi zur Einstellung der Motorcharakteristik - zu nutzen.
Ich bin überrascht, denn Oliver gehört meiner Erfahrung nach nicht zu den übervorsichtigen Menschen, vor allem, wenn es um sportliche Motorräder geht. Nun, da muss dann schon was dran sein.
Zuerst fahr ich auftanken, denn die Reservelampe weist auf gerade mal max. 2 Liter Reservesprit hin. Der 15 Liter fassende Tank ist schnell gefüllt. Und nu geht es los. Die Landstraßen der Region werden ab sofort mit dem hämmerndem Donnern der Dorsoduro in Begleitung der Göttin der Beschleunigung beseelt sein.
Ich brauche nicht lange, um mich an die Aprilia gewöhne. Aufrecht sitzend in leichter Körpervorlage mit angenehmem Kniewinkel hab ich die Maschine am relativ breiten konifizierten Lenker gut im Griff. Großen Respekt hab ich anfangs vor der Leistungsabgabe des V2-Aggregates. Es schiebt unbarmherzig bei jeder kleinsten Gasdrehung nach vorne.
Der 1200er V2 wurde vollkommen neu entwickelt. Es gelang, den Kurzhuber ähnlich schmal bauen zu lassen wie der 750er V2. Insgesamt wirkt die 1200er Dorsoduro nicht größer als die 750er, sieht ihr auch sehr ähnlich. Doch haben beide lediglich die seitlichen Rahmengussteile, die Räder und die Schwinge gemeinsam. Alles andere ist einfach anders.
Der Motor
Das Herzstück der Dorsoduro1200 verdichtet in einem Verhältnis von 12:1. Mit Doppelzündung versorgt jede Zündspule die Kerzen mit eigener Zündkurve. Das soll dem Motor ordentliches Benehmen gewährleisten, ihm die Ruppigkeit nehmen. Eine erfolgreiche Maßnahme, wie ich feststellen kann. Ab 2500 Umin hängt die Aprilia sauber und ruckelfrei am Gas. Das setzt sich mit enorm kraftvollem Vorschub bis zum Drehzahlbegrenzer fort. Es ist vollkommen ohne Belang, aus welchem Drehzahlbereich ich beschleunige. Der Vorschub ist sogar im Touringmodus äußerst direkt und geradlinig. Das zeigt sich darin, dass die Dorsoduro 1200 beim Gasaufziehen wie vom Leibhaftigen gejagt lossprintet und keine Gnade zu kennen scheint. Und die Art der Leistungsexplosionen wirkt auf mich atemberaubend. Mein Grinsen wird Dauerzustand. Adrenalin schießt in meine Adern. Hellwach feuere ich die Maschine durch das kommende Winkelwerk. Lediglich das knochig zu schaltende Getriebe hemmt gelegentlich den Fluss. Da bleibt kein Auge trocken. Selbst im 6. Gang zerrt die Maschine noch derart an den Armen, dass dies einem Krafttraining gleicht.
Das Fahrwerk
…. lässt sich von diesem Kraftpaket an Motor zu keinem Moment beeindrucken. Durch die vorderradorientierte Gewichtsverlagerung des Motors können ungewollte Beschleunigungs-Wheelies spürbar vermieden werden. Der Rahmen lässt keine Zuckung zu. Die mächtige Schwinge ins stets Herr der Situation, genauso wie die massive USD-Gabel. Insgesamt kommt die Dorsoduro sportlich straff abgestimmt daher. Allerdings muss ich nach einigem deutlichen Hinterradpumpen das Federbein optimieren und an meine Fahrweise anpassen. Schließlich bin ich zufrieden und beginne, die Maschine fliegen zu lassen. Die Schräglagenfreiheit erlaubt hohe Kurvengeschwindigkeiten.
Unabhängig vom Straßenbelag kann ich meine Linien ziehen. Die Dorsoduro 1200 bleibt in jeder Lage von allen Schikanen seitens der Fahrbahnoberfläche unbeeindruckt. Das vermittelt sehr viel Sicherheit und motiviert zu noch forscherer Gangart. Feine Unebenheiten schluckt die Aprilia vorne gut weg. Gröbere Schläge gibt sie gerne den Lenker weiter.
Das Federbein aus dem Haus Sachs arbeitet dahingegen vollkommen kritikfrei und beinahe komfortabel stabil.
Das Handling
Unerwarteterweise benötigt die Dorsoduro eine starke Hand. Ich erwarte eigentlich eine Maschine, die wie von alleine in die Kurven fällt. Eine Maschine, die sich rein mental einlenken lässt. Das funktioniert bei der Dorsoduro eingeschränkt. Mental muss ich vorbereitet sein darauf, was auf mich zukommt. Klar. Aber das Einlenken erfordert Nachdruck und deutliche Lenkimpulse. Andererseits wirkt die Dorsoduro 1200 dadurch bis in hohe Tempobereiche absolut ruhig. Auch Luftverwirbelungen vorausfahrender Fahrzeuge oder Windböen an Armen und Schulter bringen kaum Unruhe ans Vorderrad.
Einmal in Schräglage gebracht, zieht die Aprilia jede vorgegebene Linie stoisch nach. Auf Lenkkorrekturen reagiert sie direkt und präzise.
Nachdem ich mich an den leicht erhöhten Kraftaufwand zum Einlenken gewöhnt habe, lasse ich es engagierter angehen. Alles wirkt vertrauenswürdig und sicher. Lediglich feine Rutscher beim deftigen Rausbeschleunigen aus Schräglagen bringen etwas Unruhe. Sonst kann ich mit der Aprilia förmlich jede von mir gewünschte Linie fahren. Es muss nicht immer die Ideallinie sein, um damit richtig schnell meine Testkurven durchzuwedeln.
Die Bremsen
Da kann ich mich kurz fassen. Zwar sind sie ABS-unterstützt, doch hab ich das ABS vorne ausschließlich auf Sand oder Schotter zum Regeln gebracht. Auf Asphalt ist selbst beim Fahren mit erhobenem Hinterrad noch keine Reaktion erfolgt. Für eine ausgesprochen sportliche Fahrweise ist das natürlich gut zu wissen. So setze ich meine Bremspunkte sehr spät. Bei einer Gefahrenbremsung weiß jedoch nicht, ob ich nicht vielleicht doch einen Überschlag provoziere.
Ansonsten leisten die Bremsen vorzügliche Arbeit. Mit feiner Dosierung lässt die Vorderbremse mit ihren radial verbauten Vierkolben-Festsätteln an den 320er Scheiben brutale Bremsmanöver mit 2 Fingern zu.
Das Gesamtpaket – Spaßbringer pur
Wenn ich an den Test zurückdenke, werde ich unruhig. Schließlich haben mir echte 130 PS verpackt in einem auffällig schönen Sportmotorrad nicht wiederholbare Spaßmomente bereitet.
Gefüllt mit italienischer V2-Leidenschaft belehrt mich die Dorsoduro 1200 darüber, dass sie nicht nur die derbe Gangart beherrscht. So kann sie im 6. Gang durchaus im Touren- oder auch Regenmodus bis an die 2000 Umin heruntergebremst werden, um dann wieder ruckelfrei loszulegen. Im Sportmodus hab ich dann ein fast schon überdirektes Anpacken des mächtigen Motors, dass ich Angst um die Kette bekomme. Vom sanften Kätzchen bis zum jagenden Tiger kann die Dorsoduro 1200 umschrieben werden.
Und wenn ich darauf sitze, bin ich meist im Touringmodus unterwegs. Er bietet weniger Lastwechsel bei trotzdem voller Leistung.
Die Dorsoduro schaltet automatisch meinen persönlich-mentalen Landstaßen-Sport-Modus frei. Und ich gebe es unumwunden zu, dieses Hammer-Motorrad sehr engagiert zu bewegen. Ich kann nicht anders. Das ist die pure Verführung, wenn sie schon ab Standgas loshämmert, als ob sie den Asphalt spalten mag, wenn sie mir ab ca. 6800 Umin plötzlich aus der Airbox dumpfes Ansaugröcheln animierend an den Helm wirft und die beiden Schalldämpfer einen grobflorigen Klangteppich ähnlich einem Dauergewitter in die Welt stoßen. Wenn dazu das Fahrwerk die Maschine wie auf Schienen über jede noch so heftige straßenbauliche Kraterlandschaft führt und ein pfeilgenaues Handling scheinbar jede Linie abseits der Ideallinie zulässt, wie soll ich mich da zügeln?
Sonstiges
Das Zügeln erfolgt immer spätestens nach 120 km Landstraßenhatz. Dann leuchtet die Reservelampe im sehr vollständigen Cockpit, das auch einen Bordcomputer sein eigen nennt. Und ich rate jedem, sie sehr ernst zu nehmen. Von den 15 Litern, die der Tank für Brennstoff zur Verfügung hat, sind zwei Liter Reserve. Die sind bei einem Verbrauch von mind. 9,5 Litern je 100 km (nein – das ist kein Druckfehler) sehr schnell verbraucht. Hier gehört seitens Aprilia deutlich nachgebessert. Bei oben beschriebener sportlicher Fahrt waren es auch schon mal 11,5 Liter. Da sollte das Mapping überarbeitet werden.
Und das ist auch das einzigst Negative, das ich bei der Aprilia Dorsoduro 1200 benennen kann.
Die 3-stufige Traktionskontrolle kann ich aufgrund der Kürze des Testzeitraums nicht testen.
Fazit:
„Hör mal, wer da hämmert“, kann man sagen, wenn eine Aprilia Dorsoduro 1200 seinen Weg kreuzt. Meinem Eindruck nach handelt es sich bei der Maschine um ein fast perfektes Spaßgerät zu einem der Ausstattung passenden Preis in Höhe von 12.799.- Euro (ohne ABS und ATC 11.799.- Euro).
Der Spaß und die Leidenschaft, die diese Maschine zu versprühen imstande ist, kann nicht in Euro aufgewogen werden. Lediglich der Benzinverbrauch sollte noch deutlich verringert werden. Dann wäre die Aprilia Dorsoduro 1200 eine perfekte und zeitgemäße Fahrmaschine mit eindeutigem Suchtfaktor.