BMW F 800 R - Nackter Flitzer
Fahrbericht: BMW F 800 R
Text: Ralf Kistner
Fotos: Ralf Kistner, M.Kätker
Sattes Orange trifft auf seidenmattes Schwarz. Nein, hier ist nicht von einer KTM die Rede, sondern von einer BMW. Einer nackten BMW. Puristisch im Design, offen, wenn es darum geht, Kern und Technik der Maschine zu zeigen, optisch angelehnt ans Aussehen der BMW K 1300 R. Sie wirkt fast ein wenig klein, im Ausdruck jedoch wach und fast ein wenig böse. Und es ist rechts und links wirklich je ein BMW-Label angebracht.
Auch auf dem Motor fallen die drei bajuwarischen Buchstaben ins Auge – obwohl die Technik aus dem Nachbarland Österreich kommt. Den Motor konstruierte Rotax unter der Typbezeichnung „Engine Type 804“.
Seit 1993 baut Rotax bereits Motoren für BMW-Motorräder. Die gesamten Motoren der beiden F-Reihen stammen ursprünglich von Rotax, somit auch die 650er Einzylinderaggregate, die sich durch Sparsamkeit, spaßbringender Leistungsausbeute und langer Haltbarkeit viele Freunde schafften. So ist es nicht verwunderlich, dass die 2004 auf den Markt erschienenen F-800er-Modelle schnell Freunde fanden. Auch der darin verbaute Parallel-Twin konnte von Anfang an mit seiner fast linearen Leistungsabgabe und enormen Sparsamkeit punkten.
Nach den Touringmodellen F 800 S und F 800 ST kamen die beiden GS-Modelle F 650 GS und F 800 GS in 2007 auf den Markt. Nun wurde die Modellreihe durch die nackte F 800 R ergänzt.
Sie wirkt im Stand zierlich und puristisch. Nur das notwendigste scheint an diesem Modell verbaut worden zu sein. Und das ist es auch, was die F 800 R so attraktiv macht. Sie geht Roadster-Wege und kümmert sich nicht um Schnick-Schnack wie Vollverkleidung und Tempomat. Sie bringt einem das Motorradfahren an sich wieder sehr nah. Trotzdem verzichtet man bei BMW nicht auf ein prall gefülltes Zubehörregal, das die nackte R vor allem für die Tour komfortabler und sicherer machen kann.
Details
Im Vergleich zur F 800 S/ST fällt ein geänderter Sekundärantrieb auf. Statt mit Zahnriemen wird die Kraft mittels O-Ring-Kette zum Hinterrad übertragen. Die geänderte Schwinge brachte 2 kg Gewichtsersparnis. Ich persönlich finde das schade, da ich gerade den Zahnriemenantrieb an den S/ST-Modellen sehr schätzte. Nun muss man sich wieder um eine Kette kümmern. Ist auch kein großer Aufwand, doch aufwändiger als der Zahnriemen. Aber daran soll die Freundschaft mit der F 800 R nicht scheitern. Schließlich hat wartet sie mit genügend spaß- und genussbringenden Details und Vorteilen auf. Dazu aber später.
Im Vergleich zu den S/ST- Modellen wurden folgende Details geändert:
- Etwas mehr Leistung durch eine strömungsgünstigere Auspuffanlage (ca. 2 PS)
- Der Kat sitzt nun im Sammlerrohr: dadurch ist das Anbringen von Slip-On-Zubehörenddämpfern leichter möglich
- Die 2-in-1-Anlage ist ein Kilo leichter.
- Geänderte Drosselklappen-Kinematik
- Kürzere Übersetzung im 4., 5. und 6. Gang
- Längerer Radstand (+ 54 mm) mit 1520 mm durch die Alu-Druckguss-Zweiarmschwinge
- 15 mm geringere Federwege (125 mm)
- Geänderte Federbeinanlenkung
- Steilerer Lenkkopfwinkel (- 1°) mit 65°
- Reduzierter Nachlauf (- 4 mm) auf 91 mm
- Zusätzlicher Gabelstabilisator
- Breiter konifizierter Lenker
BMW visiert unter anderem die Neu- und Wiedereinsteiger als Zielgruppe an. So ist eine 34 PS Drosselung genauso erhältlich wie 3 unterschiedliche Sitzhöhen (775 mm, 800 mm = Standard, 825 mm). Aufgrund der sehr hohen Schräglagenfreiheit durch die hoch angebrachten Fußrasten kann in der Standardhöhe 800 mm der Kniewinkel ab 180 cm Körpergröße sehr eng werden.
Zudem schielt die F 800 R ebenso auf Liebhaber von Hornet, Fazer, Shiver oder Street Triple und zeigt sich in der Preispolitik als konkurrenzfähig.
Fahreindrücke
Die nackte Twin-R begleitet mich sowohl auf einer ausgiebigen Trentino-Tour wie auf meinen gewohnten und bekannten Teststrecken. Gleich nach Erhalt kann ich mit auf einer kleinen Runde an sie „gewöhnen“, wobei die Gewöhnung gar nicht stattfindet. Ich setze mich drauf und hab sofort das Gefühl, dass die R mein Motorrad ist. Draufsetzen – nein – eher reinsetzen und wohlfühlen. Genau so fühlt es sich jedes mal an, wenn ich auf der F 800 R Platz nehme.
Ich donnere kurz mal durch Christgarten und habe das Gefühl, dass ich mit diesem Motorrad schon mehrere 1000 km gefahren bin. Perfekt passt die Ergonomie. Gut, mit meinen 182 cm benötigte ich die hohe Sitzbank, denn der Kniewinkel ist wirklich sehr spitz.
Gewohnt der Twin-Sound der R, der dem der S/ST-Modellen und eigenartigerweise auch dem der 4-V-Boxer sehr ähnelt. Der Motor hängt sehr gut am Gas. Ich nehme Fahrt auf und ziehe erste schwarze Striche mit den schnell erwärmten Metzler Sportec M 3, die auf meiner Testmaschine aufgezogen sind. Eine gute Wahl. Sie unterstützen das präzise und leichtfüßige Handling der BMW wunderbar. Alles geht so leicht von der Hand, alles wirkt selbstverständlich einfach.
So bin ich nach sehr kurzer Zeit mit Testtempo unterwegs. Dank der hoch liegenden Fußrasten und der stoischen Stabilität fahre ich nach 20 Min „Eingewöhnungsphase“ mit gleichem Tempo und in ähnlich satten Schräglagen über wellige geflickte, mit viel Bitumenstreifen verzierte Pisten wie mit meiner eigenen Honda. Erstaunlich. Und ich habe das Gefühl, da geht noch wesentlich mehr.
Ich lade die BMW auf den Hänger - und ab geht es ins Trentino bis nach Sdruzzinà bei Ala – der Ausgangsbasis für kommende Touren in dieser Gegend.
Sofort wird die BMW abgeladen und es geht nach der langweiligen Autofahrt kurvensüchtig über Avio hoch zum Monte Baldo. Eine tolle Abendtour. Leere enge kurvige Straßen durch geniale Landschaften. Genau das richtige Terrain für die F.
Sie hängt millimetergenau am Gas. Jede auch noch so kleine Gasgriffbewegung wird unmittelbar, aber sehr dosierbar, in Vorschub umgesetzt. Ebenso zeigt sich die Leistungsentfaltung als linear bis auf einen deutlich spürbaren Hänger bei ca. 4500 U/min. Aber den verzeih ich der BMW schnell und gern.
Ab Standgas schiebt die F 800 R druckvoll an, wobei beim Anfahren mit sehr wenig Gas der Twin auch schon mal gerne seinen Dienst unvermittelt verweigert und verstummt. Er benötigt somit immer etwas mehr Gas zum Anfahren – reine Gewohnheitssache, wenn auch nicht besonders angenehm. Toll, wie direkt und klar die Leistung abgerufen werden kann. So sind alle Gangarten auch im Gebirge möglich. Ich kann touren, zügig vorwärtskommen oder bei Bedarf auch meinen Rennmodus zünden, mit dem ich die F 800 R dann in den oberen Drehzahlregionen beständig in den Drehzahlbegrenzer treiben kann. Ab ca. 6000 U/min wirkt die F geradezu drehzahlgeil. Das wirkt sich schließlich in der Art aus, dass ich aus den engen Mte.--Baldo-Kehren im 1. oder 2. Gang voll rausbeschleunige und die F bis zur nächsten Kehre hingieren lasse, um dann im letzten Moment voll in die Eisen zu steigen, um die nächste Kehre dann in Angriffsposition anzugehen.
Das Gesamtpaket BMW F 800 R unterstützt diese engagierte Fahrweise:
Sie hat ein Fahrwerk, das über jede Menge Feinfühligkeit, aber auch Stabilität verfügt. Per Handrad und Drehknauf kann ich Federvorspannung und Zugstufe am Federbein auf meine Bedürfnisse auf einfache Art anpassen. Gabel und Federbein arbeiten wunderbar zusammen.
Die Bremsen lassen sich sehr fein dosieren und verfügen über jede Menge Bissigkeit, sodass sehr kurze Bremswege möglich sind. Das in jedem Fall ratsame ABS regelt angenehm spät und feinfühlig. Querfugen und -wellen initialisieren nur sehr selten dessen Regelfunktion.
Die Brembostopper aggieren sehr hitzestabil und standfest. Der Druckpunkt wandert nach langen sportlichen Bergabfahrten nur sehr wenig und wirklich erst dann, wenn die Scheiben dunkelblau gebremst werden.
So lässt sich die F 800 R ultrahandlich und stabil durch jede mögliche Fahrsituation auf den Bergstraßen bewegen. Selbst enge Kehren, die ich nahe dem Lenkanschlag fahren muss, sind total einfach zu durchfahren. So werden auch ein Pso. della Spina oder der Manivapass irgendwie zu ganz normale Landstraßen, wenn man mit dieser BMW unterwegs ist. Genial und sicher auch eine Folge der passenden Ergonomie.
Bei einer kleinen „Vergleichsfahrt“ mit einem Audi RS 4 zwischen Storo und dem Ledrosee kann die F ihre sportlichen Gene zeigen. Und sie schlägt sich gut. Schließlich sind auf dieser Strecke doch einige Kehren, in denen der Quattro-Audi seine Vorteile geltend macht. Doch kann die BMW sich sehr gut halten und immer wieder aufholen, was die Qualitäten dieses Gesamtpaketes deutlich unter Beweis stellt. Ich hätte mit einer leistungsstärkeren Maschine nicht mehr herausholen können. Das ist die Mischung aus extrem leichter Handlichkeit, sehr gutem Geradeauslauf bei hohem Tempo und dem feinfühligen, aber stabilen Fahrwerk. Da gerät egal wie und wo nicht aus der Ruhe – das schafft uneingeschränktes Vertrauen in die Maschine.
Gardasee – schön, aber viel Verkehr. Auch hier macht die F eine gute Figur. Zwar weist sie mitunter kräftige Lastwechselreaktionen auf, doch im erträglichen Rahmen. Schleichfahrt ist durch Riva del Garda angesagt. Ebenso oft auf der Ostseite des Sees. Ich neige immer wieder bei besonders langsamer Fahrt dazu, Schlangenlinie zu fahren. Ich denke, dass dies durch den Lenkungsdämpfer verursacht wird. Dieser verrichtet sonst jedoch seinen Dienst unauffällig und gut.
Wieder daheim. Noch ein paar Tage kann ich die F fahren und nutze sie auf meinen Teststrecken und kleineren Touren. Und immer wieder bin ich begeistert von dieser Fahrmaschine, die ich je nach Lust und Laune bewegen kann, die alle meine kleinen und großen Unartigkeiten wie selbstverständlich umsetzt und wegsteckt. Und manch Sportfahrer wundert sich über das vor ihm verschwindende Heck dieses doch gar nicht auffällig sportlich aussehenden nackten Flitzers.
Es wäre keine BMW, wenn im Hintergrund nicht ein umfangreiches Paket an Zubehör warten würde. Leider ist das ABS noch immer ein Zubehör und nicht Bestandteil der Basisversion. Ebenso können der Bordcomputer mit Luftdruckkontrolle, Heizgriffe, das effektive Sportwindschild, die LED-Blinker, ein passender Tankrucksack und Sportkoffer als Zubehör geordert werden.
Fazit:
Selten zuvor habe ich ein derart genial zu bewegendes Motorrad gefahren wie die BMW F 800 R. Sie vereint alle positiven Eigenschaften, die man sich von einem Motorrad wünscht.
Ein- und Wiedereinsteiger werden ihre Leichtigkeit und ihr einfaches Handling schätzen lernen. Tourer werden sie als treue und sparsame Begleiterin mit vielen Möglichkeiten der Gepäckunterbringung (Tankrucksack, Sportkoffer, …) und angenehmer Soziatauglichkeit schätzen. Hausstreckenfahrer werden sie gerne auch mal mit viel Sportlichkeit einsetzen und versuchen, die Rasten auf den Boden zu bekommen. Und jeder wird hinterher mit einem Grinsen im Helm von diesem Motorrad absteigen.
So viel Motorrad, so viel Spaß, so viel Emotion. Erleichtert wird das Ganze durch einen relativ günstigen Anschaffungspreis leicht über dem Niveau der Konkurrenzmodelle.