Gezähmt und doch so wild - Ducati Steetfighter 848
Fahrbericht mit der Ducati Streetfighter 848
(Stand: Juli 2012)
Text: Ralf Kistner
Fotos: Ralf Kistner, Tom Rueß
Motorradhersteller gehen manchmal eigenartige Wege. Die einen bringen ein Modell auf den Markt und setzen dann verschärfte Versionen mit Kennung „R“, „RR“ oder „S“ nach. Ducati geht den anderen Weg. Sie brachten vor vier Jahren die 1198er Streetfighter auf den Markt. Mit weit über 150 PS und einem Leergewicht von 198 Kilo schlug die Maschine ein wie ein Blitz. Die brachiale Gewalt des V2 wurde schnell legendär, aber auch ihre kompromisslose Sportlichkeit. Hartes Fahrwerk, kämpferische Sitzposition und gnadenlose Beschleunigungsattacken gaben ihrem Namen eine echte Bedeutung.
Nun steht die gezähmte Version vor mir. Mit 848 cm³ Hubraum und „nur“ noch 125 PS wird in einer anderen Liga gekämpft.Meine Testmaschine erhalte ich dankenswerterweise von der Firma S-Team in Offingen. Dort kann die Ducati Streetfighter genauso besichtigt und Probe gefahren werden wie viele andere aktuelle Modelle der Marken Ducati, Suzuki, Yamaha, Peugeot, Aprilia, MV Agusta, Cagiva. Zudem gibt es eine riesige Auswahl an neuen und gebrauchten Motorrädern und Rollern.
Was macht die 848er Streetfighter nun zahmer als die Große?
- Der Motor: Die Ventilüberschneidungen wurden auf 11° verringert. Das bringt gleichmäßigere Leistungsentfaltung im mittleren Drehzahlbereich. Zudem wird die Spitzenleistung verringert. 125 PS laut Herstellerangabe sollten genügen.
- Die Fußrasten wurden 10 mm breiter.
- Durch Lenkererhöhungen wurde der Lenker um 20 mm höher, die Sitzposition dadurch komfortabler.
- Die Fahrwerksabstimmung ist nicht mehr so kopflastig.
- Eine Gabel von Marzocchi ersetzt die von Showa. Sie taucht beim Bremsen nicht mehr so tief ein wie das Showa-Teil.
- Ein Sachs-Federbein übernimmt die Radführung an der Hinterhand. Es ist nicht mehr so hart wie das Showa-Federbein.
- Der Hinterreifen ist schmaler in der Größe 180/60.
- Am Vorderrad arbeiten zweigeteilte Bremszangen von Brembo.
- In der „kleinen“ Streetfighter ist eine Ölbadkupplung verbaut.
848 ccm - reicht das?
Die Übersetzung ist typisch für Ducati sehr lang. Der Motor packt sofort kräftig an. Der Sound motiviert, in höhere Drehzahlregionen zu steigen. Bis 3000 U/min ist Motorruckeln angesagt. Ab 3000 U/min packt der V2 schon sehr ordentlich an. Die Leistungsentfaltung wirkt linearer, die Streetfighter hängt wunderbar am Gas. Dabei produziert sie bereits sehr kräftigen Vorschub. Ich merke, wie sich in meinem Gesicht ein freches Grinsen breitmacht. Eine Soundkulisse aus dumpfem Ansauggeräusch und kräftigem Auspuffbollern untermalt den Ritt über bekannte Landstraßen. Dabei bin ich im sechsten Gang in den mittleren Drehzahlen schon sehr zügig unterwegs.
Mich überrascht die komfortable Abstimmung der Federelemente. Nicht, dass sie weich wären. Nach einigen Veränderungen der Grundeinstellung, vor allem bei den Dämpfungseinstellungen am Federbein (Druckstufe weicher, Zugstufe härter) bügelt die Ducati feine Unebenheiten weitgehend glatt. So kann ich mit ihr auch schlechte Fahrbahnbeläge mit sehr zügiger Linie nutzen, ohne dass sie in schnell gefahrenen tiefen Schräglagen nervös wird. Hartes Anbremsen oder derbes Herausbeschleunigen bringen sie nicht aus der Ruhe. Sie zeigt immer ihre Herkunft, ihre supersportlichen Gene.
Das Streetfighterfeeling schwappt mehr und mehr auf mich über. Ich ertappe mich immer öfter dabei, die unteren Gänge weit auszudrehen. Macht der mittlere Drehzahlbereich bis 7500 U/min schon Spaß, beginnt ab dieser Drehzahl die prickelnde Lebensfreude. Da ist Feuer angesagt, da bekommt der Hinterreifen mächtig Druck. Untermalt von kräftigem V2-Brüllen rennt die Ducati in den Drehzahlbegrenzer, zeigt ihr wahres Potenzial.
Trotz aller Kraft bleibt sie immer sehr gut beherrschbar. Keine kraftstrotzenden Ausreißer, keine plötzlichen Beschleunigungsüberfälle, sondern beherrschbare Sportlichkeit. Das macht die kleine Streetfighter aus: ich kann mit ihr gleiten, ich kann sie sportlich herausfordern und ich kann sie kämpferisch vorantreiben. Durch ihre gezähmte Ausrichtung im Vergleich zur großen Streetfighter hab ich mehr Einsatzmöglichkeiten. Und egal, was ich mit dir mache, sie bleibt immer leicht beherrschbar.
Die volkstaugliche Kämpferin unterstreicht ihre Fähigkeiten in jeder Fahrsituation. Nichts an ihr ist grenzwertig. So sind auch die Bremsen, wie am Vorderrad mit zweiteiligen Bremszangen bestückt sind, äußerst kräftig und wohl dosierbar. Als Streetfighter-Bremsen erweisen sie sich in jeder Situation achtbar. Die Monoblocks der großen Streetfighter wirken dagegen noch mal giftiger. Aber das tut nicht not, denn die Bremsen der 848 er sind über jeden Zweifel erhaben.
Die Wirkung
Ich fühle mich auf der kleinen Streetfighter wohl. Sie wirkt in jeder Situation stabil. Und sie fordert eine sportliche Fahrweise heraus. So bereitet es mir immer mehr Laune, sie über meine Teststrecken fliegen zu lassen.
Volles Beschleunigen, häufiges hartes und spätes Herunterbremsen, schnelles Ablegen in tiefe Schräglagen scheinen ihr Grundprogramm zu sein. Dafür muss ich mit starker Hand zupacken. Schnelle Richtungswechsel erfordern kräftige Lenkimpulse. Dafür kann die Streetfighter sehr präzise eingelenkt werden.
Als Sicherheitsplus bietet die Ducati eine achtstufige Traktionskontrolle. So verliert das volle Herausbeschleunigen aus tiefen Schräglagen seinen Schrecken. Ich bin überrascht, wie häufig die Traktionskontrolle fast unmerklich spürbar eingreift.
Das LCD-Display bietet reichhaltige Informationen. Ich vermisse einen analogen Drehzahlmesser. Die Balkenanzeige empfinde ich als unübersichtlich. Aber das ist Geschmackssache.
Ansprechend finde ich, wie Ducati es immer wieder schafft, viel Technik im Gitterrohrrahmen zu zeigen und das ganze mit eigenen Designelementen zu würzen. So bleibt die Streetfighter für mich immer schön anzusehen.
Fazit:
Ob Ducati mit der 848er Streetfighter die bessere Streetfighter gebaut hat, kann ich nicht sagen. Ich glaube, beide Modelle haben ihre Liebhaber. Auf die kleine Streetfighter können sich in jedem Fall auch weniger erfahrene Piloten trauen. Ihre Leistungsabgabe ist immer beherrschbar, Fahrwerk und Bremsen allen Situationen gewachsen.
Sie trägt den Namen trotz allem zurecht und wird der Konkurrenz auf der Straße sicher oft ihr schönes Heck zeigen. Wartungsintervalle von 24.000 km und ein Preis um die 12.500 € machen den Einstieg als Straßenkämpfer relativ leicht.