Benelli TNT 1130 Century Racer 2011



Die Jahrhundertbombe

Fahrbericht Benelli TNT 1130 Century Racer

Text: Ralf Kistner
Fotos: Ralf Kistner, Lotte Schawillye

Hab ich mich auf dieses Motorrad gefreut. In 2004 nahm mich die TNT mit ihren explosiven Divatugenden schon in ihren Bann. Es entstand ein fast erotisches Verhältnis zwischen mir und der italienischen Spaßbombe.
Heute handelt es sich um die 5. Auflage der TNT 1130, in der Sonderausstattung der Century Racer zum 100-jährigen Bestehen von Benelli. Neben dem außergewöhnlichen Farbschema ist die Century Racer ausgestattet mit einem volleinstellbaren Fahrwerk, 50 mm Marzocchi Gabel und Sachs Federbein, sowie radialen Brembo Vierkolben Bremssätteln, Braking Wave Bremsscheiben vorne und hinten, Alcantara Sitzbank, Kotflügel vorne und Bugspoiler aus Kohlefaser. Der gelb lackierte Ventildeckel ist der i-Punkt in diesem Farbdesign, optional ist eine Soziusabdeckung erhältlich.

Alex Nolte von Maniac-Motors in Nürnberg stellt mir die Bella Macchina für den Testtag zur Verfügung. Und er weiß sehr viel zu erzählen. Ich spüre, dass er vom italienischen Virus infiziert ist, dass immer wieder dieses seltsame Leuchten in seinen Augen erscheint. Und er hat für schon bereits bzw. potentiell Infizierte eine passende Auswahl an Benellis, bimotas und, soweit noch vorhanden, Moto Morinis in seinem Laden bereitstehen.

Die Century Racer ist eine sehr edle Variante der TNT 1130. Alles ist dunkel gehalten. Die Lackteile glänzen in dunklem Braun-metallic, der immer noch einzigartige Rohrrahmen und die äußerst stabil anmutende Rohrschwinge in sattem Schwarz. Die Sitzbank wurde mit passend dunkelbraunem Alcantara bezogen. Die eigentliche Erscheinung der TNT 1130 blieb gleich.

Geändert hat sich Vieles im Detail:
  • Neue Einspritzsoftware
  • DNA Dauerluftfilter auswaschbar
  • Zündkerzen nun von NGK
  • Zündspulen von BERU made in Germany
  • Neue Gussform des Zylinderkopfes mit optimierten Kanälen
  • Diverse Änderungen im Getriebe und Primärantrieb zur besseren Schaltbarkeit mit weniger Spiel im Antriebsstrang
  • Neues Setup für Gabel und Federbein – beide mit deutlich sportlicherer Auslegung
  • Neue Reibpaarung von Bremsbelag zur Bremsscheibe
  • Neue elektrostatische Beschichtung für Rahmen und Schwinge
  • Verbesserter Kabelbaum
  • Neues Display mit präziseren Anzeigen und verbesserter Lesbarkeit
  • Neues Lenkkopflager mit Rollen und Kunststoffkäfig
  • Neuer Tachosensor mit präziserer Signalabnahme
Nu ist aber Fahren angesagt. Testterrain ist heute die Fränkische Schweiz. Unter der Woche ideal, weil wenig Verkehr zu erwarten ist.
Die TNT läuft gleich nach dem Kaltstart rund mit leicht erhöhter Drehzahl. Willig nimmt sie kleine Gasstöße an und deutet an, dass sie von ihrer Explosivität auch nach so viel Überarbeitungen nichts verloren hat. Klassisch – aber nicht beunruhigend - die mechanischen Geräusche. Das Moped lebt.

Diva mit guten Manieren
Mich überrascht, wie weich sie ans Gas geht, wie wenig Lastwechsel ich im Verkehr der Nürnberger Nordstadt von ihr zu spüren bekomme. Da hab ich an die erste TNT noch ganz andere Erinnerungen. Die gebärdete sich derb ruckelnd mit groben Lastwechseln und deutlich spürbarem Konstantfahrruckeln. Das scheint jetzt vorbei zu sein.

Wie mit einer zahmen Japanerin gleite ich durch den Stadtverkehr. Die Sitzposition blieb aufrecht mit spitzen Knien.

Die pure Unvernunft
Endlich geht es raus – Stadtende von Nürnberg. Noch etwas langweilige Bundesstraße – dann können wir endlich abbiegen und beginnen, uns in die Kurven der Fränkischen Schweiz einzufahren. Das alte Spiel geht sofort wieder los. Ich nehme leichte Kampfposition auf dem Alcantarasitz ein, geh ans Gas und werde wieder von diesem massiven dumpfen Ansaugröcheln  und dem derben Sound des Under-Seat-Auspuffs animiert, diesem Luder mehr zu geben als es eine STVO auch auf diesen Zuckersträßchen in der Fränkischen vorsieht. Es ist wieder dieser alte Kampf zwischen der Vernunft und der quellenden Leidenschaft. Ich weiß schon gar nicht mehr wohin mit meinem Grinsen. Bei jedem Halt fängt meine Begleitung und Fotografin Lotte an zu lachen, wenn sie das Strahlen in meinem Helm sieht. Wieder geschieht Wundersames mit mir, wenn ich die TNT 1130 angase.

Dennoch ist etwas Schraubarbeit angesagt. Die Fahrwerkseinstellung empfinde ich als deutlich zu hart für die meist welligen Flicksträßlein der Fränkischen Schweiz. Nach einigen Stopps habe ich durch Ändern der Einstellungen an Druck- und Zugstufe des Federbeins die Nervosität der Hinterhand genommen. Die TNT liegt deutlich satter und führt das Rad spürbar fester auf dem Boden. An der voll einstellbaren Gabel muss ich nichts verstellen. Sie passt für meine Zwecke.

Zwischen Waischenfeld und Behringersmühle lasse ich das Luder laufen, lasse sie schreien und toben bis an den Drehzahlbegrenzer. Sie belohnt mich mit sattem Durchzug, hängt wunderbar - aber nicht zu direkt – am Gas und zeigt mir, dass sie insgesamt mehr Manieren bekommen hat, ohne dabei ihren Reiz und ihre Explosivität zu verlieren. Toll!!!

Schon bei der alten TNT waren die Bremsen von guten Eltern. Diese hier gehören in die Oberliga, haben Supersport-Qualitäten. Feine Dosierbarkeit paart sich mit gnadenlosen Verzögerungsmöglichkeiten.  Das schafft in jeder Situation ein sicheres Gefühl.

Leicht verbessert wurde der Spritverbrauch. Bei ständig engagiertem Angasmodus nimmt sich die Diva 12 Liter zur Brust – immerhin 1,5 Liter weniger als bei der ersten TNT 1130. Wenn ich die TNT flüssiger in hohen Gängen laufen lasse, kommt sich auch gut unter die 10 Liter. Immer noch viel, aber wenn ich zur italienischen Konkurrenz z.B. bei Aprilia schaue, dann bleiben ihre Schluckgewohnheiten noch durchaus im Rahmen, auch wenn diese Verbräuche für heutige Motorräder nicht mehr zeitgemäß sind.
Im Alltag bedeutet dies, dass ich bei einem 16-Liter-Tank relativ häufig eine Tankstelle in der Nähe haben sollte. Das hat den Ausflug in die Fränkische Schweiz etwas getrübt.

Fazit:
TNT bleibt TNT. Auch wenn sie in zwischen gute Manieren bekommen hat, bleibt die TNT 1130 durchaus adrenalinauslösender Sprengstoff. Wer nur einen Hauch von Benzin im Blut hat, wird sich ihrem Charakter nicht entziehen können. Auch wenn man mit ihr in fernöstlicher Manier ruhig dahingleiten kann, wird dies auf der TNT niemand ernsthaft vorhaben. Schließlich spricht schon die Geräuschkulisse dagegen. Diese wirkt wie aufpuschende Drogen in den Ohren. Dann ein Triebwerk, das den Namen wirklich verdient. Dazu ein tolles Fahrwerk und potente Bremsen.
Dass sie gerne einen zu viel hebt, das vergisst man sehr schnell, wenn man mit ihr unterwegs ist und sich ihrem leidenschaftlichen Charme ergibt. Bitte – gebt uns mehr solche Motorräder.